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47. Internationale Jahrestagung des SIESC, Pau, 25. ­ 29. Juli 2001

Yves Calais, Vizepräsident des SIESC
Diözesanverantwortlicher für ökumenische und interreligiöse Beziehungen in Besançon

Interreligiöse Beziehungen und Dialoge

(aus dem Französischen übersetzt von Wolfgang Rank)

0.1 In diesem Jahr haben wir als Thema unserer Jahrestagung unsere Situation als Lehrer in einer Welt mit vielen Religionen gewählt: Wir bringen also eine der Wirklichkeiten der heutigen Welt zur Sprache. Ich möchte zu Beginn sagen, dass diese Reflexion voraussetzt, dass man die tiefgehende Säkularisierung unserer europäischen Gesellschaften, im Westen wie im Osten, wohl berücksichtigt hat; wir hatten daraus den Inhalt der letzten in Frankreich organisierten Jahrestagung 1993 in Nantes gemacht. Unsere Situation ist zugleich von Säkularisierung und dem Nebeneinander vieler Religionen gekennzeichnet.

Die Einladung zu unserer Jahrestagung war auch eine Einladung, Ihr persönliches Zeugnis oder Ihre persönliche Erfahrung der Beziehung zu Männern und Frauen und zu Schülern anderer Religionen mitzubringen, so begrenzt sie auch sei. Einige von uns haben das schriftlich getan, der Großteil von Ihnen wird es mündlich in den Arbeitsgruppen tun.

Zu Beginn unserer Jahrestagung möchte ich nur präzisieren, was man unter interreligiösen Beziehungen und Dialogen versteht, und das Gebiet abstecken, damit Ihre Beiträge sich in einen gemeinsamen Hintergrund einfügen können, und um auf die zwei Vorträge vorzubereiten, die folgen werden.

0.2 Am Anfang aber, noch immer als Einleitung, habe ich vor, interreligiös und ökumenisch klar zu unterscheiden. Denn die Anwendung dieser zwei Bezeichnungen führt in Frankreich und anderswo zu Verwirrungen.

Ich unterscheide die beiden Bezeichnungen einerseits durch die in Beziehung stehenden Personen, andererseits durch das Ziel der Beziehung. In meinem Vortrag verweist "ökumenisch" auf Beziehungen zwischen den Christen der verschiedenen Konfessionen, Katholiken, Protestanten, Anglikanern, Orthodoxen, Orientalen; sie haben eine Wiederherstellung unserer sichtbaren Einheit als Ziel. "Interreligiös" verweist auf Beziehungen zwischen Gläubigen der verschiedenen Religionen, Christen, Juden, Muslimen, Buddhisten, Hindus und Mitgliedern anderer, weniger bekannter und hier und da vorhandener Religionen; sie haben den Frieden zwischen den Menschen als Ziel. Also verschiedene Beziehungen und verschiedene Ziele.

Eine gewisse Zahl von Menschen macht diese Unterscheidung nicht, besonders in der Presse, im Radio und im Fernsehen. Sie betrachten den Katholizismus, den Protestantismus, den Anglikanismus, die Orthodoxie als verschiedene Religionen. Sie haben kein Gespür mehr für den Unterschied im Ziel dieser Beziehungen, besonders für die Vision einer Wiederherstellung der Einheit der Christen. Sie sehen nur die gemeinsame Versöhnung in den zwei Bemühungen, wobei sie daran denken, dass die Religionen, wie auch immer sie sein mögen, oft Verursacher von Kriegen sind, und sich darüber freuen, dass sie Verursacher des Friedens sein sollen. Aus demselben Grund bezeichnet man auch leicht friedensstiftende Begegnungen von gegnerischen verantwortlichen Politikern als ökumenisch. Andere berücksichtigen die Etymologie des Wortes "ökumenisch", das im Altgriechischen "von der bewohnten Welt" bedeutet, d.h. "global", und sie verwenden das Wort für zahlreiche friedliche Aspekte der Globalisierung.

Auf der anderen Seite wird das Adjektiv "interreligiös" für Begegnungen zwischen Christen angewendet, auch wenn die Einheit im Zentrum ihrer Begegnung steht.

So sieht man, dass die ungenaue Verwendung der zwei Bezeichnungen mit einer schwachen religiösen Kultur verbunden ist. Aber man kann auch sagen, dass sie mit dem geringen Gewicht der religiösen Faktoren im gesellschaftlichen Leben und genauso im

Wortschatz verbunden ist. Das führt uns zurück zur Säkularisierung der heutigen europäischen Gesellschaften, die sich nicht mehr auf christlichen religiösen Elementen aufbauen. Unsere Reflexion über die interreligiösen Beziehungen muss wohl auf die Basis "Säkularisierung" gestellt werden, deren Analyse ich nicht mehr entwickeln werde.

0.3 Nach diesen zwei Vorbemerkungen teile ich meinen Vortrag in drei Abschnitte:

1. die Globalisierung des religiösen Raums
2. die verschiedenen Formen interreligiöser Beziehungen
3. der Übergang von den Beziehungen zu den Dialogen


1. Die Globalisierung des religiösen Raums

1.1 Das ist vielleicht etwas Offensichtliches, aber es ist der Mühe wert, es genauer zu betrachten.

Man kennt die wirtschaftliche Globalisierung zur Genüge; sie ist außerdem so, dass sie beinahe das ganze Beobachtungsfeld besetzt, da sie direkt oder indirekt die Existenz jedes Einzelnen von uns berührt. Aber die Globalisierung beschränkt sich nicht auf den wirtschaftlichen Bereich, sie ist ein Kennzeichen aller Aspekte des heutigen Lebens.

Um bei meinem Thema zu bleiben, weise ich hier nur auf die Globalisierung auf kulturellem Gebiet hin, in der Art sich zu kleiden (die selben Jeans und die selben Mützen), in der Art die Städte zu bauen, in der Musik: Das Phänomen, das man Mode nannte, wird global. Hier wirkt die Globalisierung durch Vereinheitlichung. Und Europa versucht seine Identität zu bewahren, während die globalisierte Kultur sich durch wirtschaftliche Imperative durchsetzt.

Im religiösen Bereich spielt sich die Globalisierung vor allem nicht durch eine Vereinheitlichung, sondern durch eine Diversifizierung ab; und da beginnt sie ihre besonderen Züge anzunehmen: alle Religionen der Welt werden in den großen städtischen Zentren gegenwärtig und viele sind in den kleinen Städten und sogar auf dem Land gegenwärtig, seitdem die Grenzen der Länder offen sind.

In Frankreich dürfte es nicht viele Lehrer geben, die in ihren Klassen nicht Schüler muslimischer Herkunft haben, praktizierende oder nicht praktizierende. Seit drei Jahren findet in Paris jedes Jahr eine Prozession zum Elefantengott des Hinduismus statt. Jede Region hat ein oder mehrere buddhistische Zentren. Ich habe Baha'i unter den Gymnasiallehrern getroffen, die keineswegs aus dem Mittleren Orient stammten usw.. Und ich spreche nicht von den Gruppen, die man als Sekten betrachtet und die sich sehr weit von ihrem Ursprungsort verbreiten.

1.2 Geschichtlich kann man die religiöse Diversifizierung, welche die Globalisierung nach sich zieht, sehr leicht seit dem ersten Krieg verfolgen, den man zu Recht "Weltkrieg" nennt. Als Beispiel verfolge ich deren Etappen in Frankreich, einem Land, das bis dahin durch eine katholische Kultur gekennzeichnet war, eine massiv katholische, mit ihrem antiklerikalen und atheistisch rationalistischen Widerstand, und mit einer sehr schwachen reformiert oder lutherisch protestantischen Minderheit und einer kleinen jüdischen Gemeinschaft, wobei die einen und die anderen im nationalen Leben sehr aktiv waren. Nur eine winzig kleine Intelligenzia interessierte sich für die anderen Religionen, die als exotisch oder für Fremde und Botschafter reserviert galten. Während des Krieges 1914-1918 begann man, in den Militärfriedhöfen muslimische Abteilungen zu eröffnen, konnte man in den dörflichen Soldatenquartieren an orthodoxen Liturgien teilnehmen, die von russischen oder rumänischen Militärgeistlichen gefeiert wurden.

Nach dem 1. Weltkrieg beginnt gleichzeitig mit der Verbreitung des Jazz die Verbreitung der nordamerikanischen evangelikalen oder pfingstlerischen Gemeinschaften oder Kirchen. Einige Jahre nach der Revolution von 1917 ist die Zahl der russischen Emigranten so hoch, dass in Paris ein Institut des Heiligen Sergius entsteht, das einer der Hauptorte des russisch-orthodoxen religiösen Denkens wird. Es gab auch bedeutende Zuwanderung italienischer, polnischer und spanischer Bevölkerung, die schneller assimiliert wurden, weil sie Katholiken waren; also sprach man nicht von "Ökumenismus".

Nach dem 2. Weltkrieg verschärft sich die Globalisierung mit der massenhaften Ankunft von Arbeitskräften aus Nordafrika und der Türkei, einer muslimischen Bevölkerung, deren Zahl mit der Ankunft der Familien und der Geburt zahlreicher Kinder zunimmt. Dazu kommt nach der Unabhängigkeit der Länder Nordafrikas die Ankunft jüdischer Familien in Frankreich; dann die Ankunft buddhistischer Flüchtlinge aus dem Fernen Osten usw.. Jedes der westlichen Länder hat in seinem eigenen Rhythmus dieses Ankommen von Einwohnern verschiedener Religionen gekannt, die sich mit den örtlichen Bevölkerungen mischen. Zur gleichen Zeit erreichen und verursachen Religionen von anderswo einige Bekehrungen, deren Bedeutung die Veröffentlichung vergrößert. Die Situation der europäischen Länder unter kommunistischer Herrschaft ist nun nicht die selbe, vor allem weil das, was religiös ist, dort nicht das Recht hat, im öffentlichen Leben zu erscheinen, aber auch weil die Bevölkerungs-bewegungen dort nicht die selbe Auswirkung haben. Als plötzlich die wiedergewonnene Freiheit für geschwächte Kirchen eintritt, die aus dem Schweigen und der Verfolgung heraustreten, erscheinen die anderen Religionen in einer unerwarteten Art und Weise mit der Schroffheit einer wahren Invasion von Religionen oder Konfessionen, die nun als illegitime Eindringlinge wahrgenommen werden. Das erklärt die Reaktion mehrerer orthodoxer Kirchen.

Man sieht, wie die Globalisierung die Pluralität dort einführt, wo es vorher religiöse Einheitlichkeit gegeben hatte. Man hatte nämlich die religiösen Gemeinschaften nach dem Grundsatz der politischen und religiösen Einheitlichkeit gebildet, die durch gleichbedeutende Formeln ausgedrückt wurde, lateinisch cuius regio eius religio, französisch une foi, une loi, un roi. Nach diesem Grundsatz hat das noch in kleine Fürstentümer geteilte Deutschland durch den Frieden von Augsburg die Verlängerung von Religionskriegen vermieden, aber das schon zentralisierte Frankreich hat das Edikt von Nantes widerrufen, das doch anerkannte, dass die Untertanen des Königs von Frankreich zwei verschiedene Religionen haben konnten. Es hatte dort implizit eine Art religiöses Jalta gegeben, das Einflusszonen festlegte, wo einer Religion ihre Vorherrschaft, ja sogar Ausschließlichkeit zugesichert war, wie heute noch dem Islam in Saudi-Arabien, wo dieser Grundsatz seine Anwendung nicht verloren hat. Der Synod der russisch-orthodoxen Kirche spricht von den Ländern Russlands immer als "nach Kirchenrecht orthodoxen Gebieten".

Die Globalisierung ist das Ende dieses Grundsatzes: Es gibt keine reservierten Gebiete mehr. Die schützenden religiösen Grenzen sind aufgehoben worden wie im wirtschaftlichen Bereich; dass die Religionen in die Reichweite aller gebracht wurden, oder einer großen Zahl, zieht wie im wirtschaftlichen Bereich eine Situation de Konkurrenz und der Deregulierung des religiösen Raumes nach sich, welche die historischen Religionen schwächt und ihnen gewaltige Probleme macht, denen sie sich nicht immer zu stellen bereit sind.

1.3 Dazu kommt ein anderer Aspekt der Globalisierung, der nicht zum Bereich der politischen Geographie und der physischen Anwesenheit gehört, sondern von den modernen Kommunikationsmitteln her kommt. Die raschen Transportmittel erlauben es dem Dalai Lama, nach Europa wie in Vororte seiner Residenz zu kommen; das Radio, das Fernsehen und das Internet lassen die Religionen der anderen mit dem Rest der Welt in unsere Häuser

eintreten, dort wo alles auf die selbe Ebene gestellt wird, was von hier ist und was von anderswo ist, das Reale und das Erfundene, zum Zappen angeboten und zu allem, was die Religionssoziologen "patchwork"-Religion nennen. Ein anderes Bild ist das des Einkaufswagens im Supermarkt der Religionen, in den man im Vorübergehen ein wenig Christentum einfüllt, ein wenig Buddhismus, ein wenig Islam und ein wenig Aberglauben, damit man alles erfasst.

So ist die Situation, die manche beunruhigt und die die Theologen mit dem Namen Relativismus bezeichnen. Aber wer bereit ist, sich dieser Situation zu stellen, und die Gemeinschaften der Gläubigen, die dazu bereit sind, gehen gestärkt daraus hervor, weil der Glaube stark genug ist, um in Freiheit zu leben, während derjenige, der diese innere Kraft nicht hat, daraus noch schwächer und unsicherer hervorgeht, auch wenn er geglaubt hat, sein Verlangen stillen oder einfach nach außen befriedigen zu können. Das ist eine schwere Verantwortung für die religiös Verantwortlichen.

1.4 Man entkommt der Globalisierung nicht, weil nicht einmal mehr ein privater Bereich bei sich zu Hause bewahrt geblieben ist: Der religiöse Pluralismus ist einer der Bestandteile des heutigen Lebens geworden.

Um sich dagegen zu schützen, bringen manche alle Verteidigungsmechanismen ins Spiel, die alle darauf aus sind, sich in einem geschlossenen religiösen Raum einzuschließen, der nichts mit der monastischen Klausur zu tun hat. Sie lehnen die Religionen der anderen mit Hilfe einer ganzen Sammlung von negativen Urteilen in Form einer Anklage und zum Zweck des Gegensatzes ab; sie stützen sich auf feste Positionen, die sie mit integristischen oder fundamentalistischen Haltungen ausschließend machen. Man kann Integrismus einfach definieren als eine Art und Weise, eine besondere Periode seiner religiösen Geschichte zu verabsolutieren, zu der man also zwingend zurückkehren muss, um sich nicht die Anklage religiösen Verrats zuzuziehen. Man kann Fundamentalismus definieren als die Art und Weise, gewisse Teile der Gründungstexte zu verabsolutieren, die schließlich in totalitärer Weise das ganze religiöse Leben beherrschen. Diese Haltungen sind identitätsstiftende Strömungen, die eine der Formen der Reaktion auf die religiöse Globalisierung sind.

Aber man weiß auch, dass man auf die religiöse Globalisierung anders reagieren kann, indem man die Freiheit und die Erziehung zur Freiheit einsetzt, ohne die es keine des Menschen und Gottes würdige religiöse Haltung gibt.

2. Die verschiedenen Formen der interreligiösen Beziehungen

In der Woge der Globalisierung sind die interreligiösen Beziehungen von so unterschiedlicher Art, dass sie für Männer und Frauen, für Junge und weniger Junge nicht Konsequenzen der selben Wichtigkeit haben.

Ausgehend von den Orten und den Zeitpunkten der Beziehung werde ich vier Arten von Beziehungen unterscheiden.

2.1 Die Beziehungen im gemeinsamen öffentlichen Raum

Es gibt zuerst die Begegnungen auf der Straße.

Die Wahrnehmung der unterschiedlichen Religion zeigt sich selten bei ersten Kontakten, wenn es sich um Personen handelt, die aus dem eigenen Land stammen und kein besonderes sichtbares Erkennungszeichen tragen. In Frankreich will es die gewöhnliche Praxis, dass man bei diesem Thema große Diskretion übt.

Aber wenn es sich um Nordafrikaner oder Türken handelt, lässt schon die äußere Erscheinung an einen Muslim denken, die Religion und das Land laufen daher Gefahr

vermengt zu werden und die Haltung der Sympathie oder Antipathie umfasst beide; es gibt Formen der Fremdenfurcht, die auch religiös sind. Wenn wir uns im Monat Ramadan befinden, vermehrt der Unterschied im täglichen und nächtlichen Lebensrhythmus die Wahrnehmung der Fremdheit; die französische Sprache berücksichtigt das bei dem Wort "ramdam" in der Redewendung "faire du ramdam", die von dem Wort Ramadan abgeleitet ist und die einen unzeitgemäßen Krach bedeutet. Nicht die religiöse Haltung selbst ist die Ursache dafür, sondern die kulturelle Art und Weise, in der sie sich ausdrückt. In der Gegenwart einer Person aus Südostasien, möglicherweise Buddhist oder Hinduist, ist der Eindruck auf Grund seiner Integration in unsere Formen des öffentlichen Lebens nicht der selbe. Und bei einem Afrikaner hat man keinen Grund die Zugehörigkeit eher zu einer Religion als zu einer anderen zu vermuten. Wenn es sich um einen Juden handelt, der die Kippa trägt, umso mehr, wenn es sich um einen Menschen in dunklem Gewand handelt, der einen Filzhut trägt, erfolgt die religiöse Identifizierung sofort und die Reaktion gehört in dieselbe Kategorie wie die Reaktion der Sympathie eines Katholiken gegenüber einer Nonne im Habit oder wie die Reaktion spöttischer Feindseligkeit eines Antiklerikalen. Die Reaktionen auf gemeinschaftliche religiöse Kundgebungen auf der öffentlichen Straße sind dieselben, am häufigsten Reaktionen der Indifferenz und einfacher Toleranz.

Ich verfolge das nicht weiter, aber man sieht schon, dass die Religion nur einer der Bestandteile der Beziehung zum anderen ist und nicht als solche interessiert. Die Reaktionen der Feindseligkeit oder der Sympathie können vom Kulturellen zum Religiösen gleiten, indem sie eine Gefühlsdimension in die Wahrnehmung einer Religion einführen können. In all diesen Fällen bleibt die Beziehung sehr oberflächlich und läuft Gefahr, auf ein stereotypes Verhalten hinauszulaufen; sie kann aber eine Neugierde hervorrufen, die zu einer wahrhaften Entdeckung führen könnte.

Das Veranstaltungsleben der Stadtteile, der Städte, mit den Versammlungen und Festen ist eine andere Möglichkeit zur Beziehung. Die Teilnahme an den Aktivitäten der öffentlichen und von Vereinen getragenen sozialen Dienste, an den Einrichtungen zur Aufnahme von Fremden, an den gesellschaftlichen, kulturellen und sportlichen Vereinigungen gibt der Beziehung einen anderen Wert, den des Dienstes und eines persönlichen Engagements, das sich mit Leichtigkeit für die religiöse Dimension öffnen kann. An gewissen öffentlichen Orten, wie z.B. Flughäfen, Einkaufszentren, Spitälern, sind Andachtsorte für alle die offen, die beten kommen wollen.

Ein anderer Aspekt des öffentlichen Lebens erfordert persönliche Stellungnahmen, bei den Organisationen und Vereinigungen oder den politischen Parteien, welche die Beziehung zu Fremden oder ihre Zurückweisung preisen. Die Bauprojekte für Kultstätten sind Gegenstand von Diskussionen, die ausdrücklich vom Politischen zum Religiösen übergehen.

Also sind im normalen öffentlichen Leben die interreligiösen Beziehungen selten explizit; es ist eine Ausnahme, wenn sie auf das Niveau wirklicher Dialoge übergehen, außer wenn eine zwischenmenschliche Beziehung entstanden ist. Die Qualität der Beziehungen hängt vom Grad des Bewusstseins ab, mit dem man sie lebt. Aber niemand kann in der Mehrzahl unserer Länder sagen, dass er nicht, direkt oder durch zwischengeschaltete Medien, Männern und Frauen anderer Religionen begegnet, ohne die zu zählen, die sich ohne Religion vorstellen, ja sogar gegen die Religionen sind.

2.2 Die Beziehungen in den Familien und den Freundschaftsbanden

Eine relativ neue Tatsache ist es, dass Personen verschiedener Religionen sogar im Inneren der Familien und der Freundschaftsbande auftreten. Die Beziehung wird dann

unumgänglich und geht oft in einen höheren Bewusstseingrad über. Die multireligiöse Situation berührt dann persönlich die einen und die anderen und muss sich in dem einen oder anderen Zeitpunkt für Fragen und Diskussionen öffnen, die das Wesentliche der religiösen Haltungen und die Religionen selbst betreffen.

Alles hängt dann von Kenntnisstand ab, den jeder von seiner eigenen Religion hat, und von der Qualität seiner Neugier. Daher ergibt sich die Grenze für diese Beziehungen, die zu einem Dialog tendieren.

2.3 Die Beziehungen im religiösen Bereich

Eine andere Neuheit ist, dass im Inneren des religiösen Bereichs selbst anlässlich des Lebens der Gemeinschaften der Gläubigen interreligiöse Beziehungen auftauchen.

So habe ich in einer Bibelgruppe von Jugendlichen einen Iraner gehabt, der von einem der Teilnehmer eingeladen wurde, wo er doch Anhänger der Baha'i-Religion war. Dabei handelt es sich um eine synkretistische Religion, der ich meine Aufmerksamkeit zugewendet hatte, weil ihre Mitglieder nach der Rückkehr von Ayatollah Khomeini Opfer einer gewaltsamen Verfolgung im Iran gewesen waren; Amnesty International hatte die öffentliche Meinung alarmiert.

Diejenigen, die den Fortbestand der Pfarren sichern oder interreligiöse Aufgaben erfüllen, stehen Fragen gegenüber, die von den Leuten anlässlich von Taufen, Hochzeiten, sogar Begräbnissen oder öffentlichen Zeremonien gestellt werden, an denen Mitglieder einer anderen Religion teilnehmen. Was tun? Wie es tun? Diese Situationen sind nicht nur Zeitpunkte für Information mit Bezug auf die gestellten Fragen, sie führen, wenn man dazu Zeit hat, zu einem wahren Dialog. Und wenn man weiß, dass ihr aktive Christen seid, wird man euch sicher befragen.

Es besteht also Grund sich die Mittel zu verschaffen, fachkundig zu werden, indem man all das nützt, was zur Zeit gerade jedem zur Verfügung gestellt wird, sowohl in der Kirche als auch im öffentlichen Bereich, Bücher, Tagung, Auskunftspersonen usw..

Heute hat sich die katholische Kirche auf Weltebene Instrumente des Dialogs verschafft, durch die Dienste des Vatikans, besonders durch den Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog und durch die Kommission für die Beziehungen zum Judentum des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen. Es gibt entsprechende Organisationen bei den nationalen Bischofskonferenzen und oft sogar in den Diözesen. Dazu kommen noch Vereinigungen und Bewegungen für verschiedene Initiativen für den Dialog mit dem Judentum, mit dem Islam, für den Dialog zwischen den drei abrahamitischen monotheistischen Religionen, und auch für den Dialog mit dem Buddhismus. Gewisse Vereinigungen überschreiten den religiösen Rahmen und verbinden sich mit Nicht-Glaubenden wie die Weltkonferenz der Religionen für den Frieden.

2.4 Die Beziehungen im schulischen Bereich

Ich habe für das Ende dieses zweiten Teils die Beziehungen im schulischen Bereich aufgespart. Einige von Ihnen haben sehr interessante geschriebene Zeugnisse mitgebracht.

In der Sichtweise, die wir hier verwenden, handelt es sich offensichtlich nicht darum, die Religionen vorzustellen, um die Schüler einzuladen, sich ihnen anzuschließen, sondern es handelt sich darum, den Religionen ihren Platz in der Kultur und in der Reflexion über das Leben zu geben, mit der ganzen intellektuellen Strenge, die normalerweise in der Bildung entfaltet wird.

2.4.1 Ich beginne mit dem, was in der Klasse bei der Anwendung der offiziellen Lehraufträge und Lehrpläne geschieht. In den Staaten ist der Platz, der den religiösen Fakten oder der religiösen Dimension der kulturellen Fakten zugestanden wird, mehr oder weniger groß. Es kommt einfach auf jeden einzelnen an, seine pädagogische Verantwortung voll wahrzunehmen, innerhalb ihrer Grenzen, ohne Komplex und ohne Tricks, indem man fachkundig und intellektuell ehrlich zu sein sucht, wie auch immer die eigene Religion oder der eigene Unglaube sein mag. Es gibt schon viel zu tun, um in diesem Rahmen ein Mindestmaß an religiöser Kultur zu entfalten, durch die man zu einer besseren Kenntnis der Religionen kommt.

2.4.2 Ich gehe weiter zu den Aktivitäten, die auf Initiative der schulischen Einrichtungen außerhalb des gemeinsamen offiziellen Rahmens veranstaltet werden. Ich gehe hier auf mehrere Arten davon ein:

- Vorträge, gefolgt von Diskussionen oder Podiumsdiskussionen mit schulfremden Vortragenden über diesen Aspekt ihrer Religion

- Vorträge von Schülern verschiedener Religionen über diesen Aspekt ihrer Religion, welche die Schüler dazu führen, ihre eigenen Kenntnisse in der Perspektive des Teilens mit den anderen zu vertiefen, was eine für einen Dialog günstige Einstellung ist, wenn sie sich durch eine Diskussion fortsetzen. Ich bin als Auskunftsperson während einer Darstellung des Ramadan und der Fastenzeit in einer katholischen berufsbildenden Schule aufgetreten, die ein Drittel Muslime zählte.

- Führungen in Kultstätten

- Einladungen zu religiösen Festen oder ihren gemütlichen Fortsetzungen

Diese Aktivitäten müssen in ein zusammenhängendes erzieherisches Projekt integriert werden und in gewissen Fällen braucht man dazu die Zustimmung der Eltern.

2.4.3 Im Rahmen der geistlichen Betreuung können auch ähnliche Aktivitäten ins Auge gefasst und organisiert werden.

Man beobachtet, dass diese schulischen interreligiösen Beziehungen zugleich ein besseres gegenseitiges Kennen und bessere persönliche und gemeinschaftliche Beziehungen in der Klasse und in der Schule als Ziel haben. Ich habe überprüft, dass es manchmal lange Erklärungen für den Lehrkörper und die Schülereltern braucht, damit diese Aktivitäten nicht der Vorwand für andere Spannungen werden.

In den katholischen Schulen und im Rahmen der geistlichen Betreuung können diese Beziehungen in einen wirklichen Auftakt zum interreligiösen Dialog münden.

2.4.4 Außerhalb der Schulen haben Vereinigungen einen schulischen Unterstützungsdienst für Schüler in Schwierigkeiten geschaffen, die oft junge Auswanderer nichtchristlicher Religionen sind. Die Kontakte mit diesen und mit den Familien sind oft die Gelegenheit für interessante interreligiöse Diskussionen.

3. Von interreligiösen Beziehungen zu interreligiösen Dialogen

In diesem zweiten Abschnitt sieht man schon, wie direkte Beziehungen in wirkliche interreligiöse Dialoge münden können. Meine eigene Erfahrung zeigt mir zur Genüge, dass der Übergang vom einen zum anderen nicht so leicht zu verwirklichen ist und dass interreligiöse Dialoge, die genug unterstützt und lang genug sind, um Festigkeit zu erreichen, schließlich ziemlich seltene gesegnete Augenblicke sind. Man missbraucht oft die Bezeichnung "interreligiöser Dialog". Aber die bloße Tatsache, dass man mit der Religion des anderen konfrontiert wird, stellt jedem zahlreiche Fragen, auf die man Antworten sucht, was einen schon in die Situation zwar nicht des direkten Dialogs mit dem anderen bringt, aber der Haltung des Dialogs; und das ist sehr häufig.

Ich werde hier andeuten, was mir die Bedingungen, die Schwierigkeiten und die Früchte der Haltung des Dialogs und der Dialoge selbst zu sein scheinen.

3.1 Die Bedingungen für den Übergang von der einfachen Beziehung zum Dialog

3.1.1 Die erste Bedingung ist von psychologischer Natur. Es ist die Öffnung für die Aufnahme des anderen so, wie er ist, und nicht wie ich mir vorstelle, dass er ist, oder wie ich träume, dass er sein soll. Das ist leichter zu sagen als zu leben, da die früheren Kenntnisse und Erfahrungen in die Wirklichkeit des Augenblicks eingreifen; die Anpassung der einen und der anderen wird die Folge des Dialogs sein und nicht seine Vorbedingung. Diese persönliche Öffnung verlangt auch eine Bemühung, um von Seiten des anderen eine gleiche Öffnung zu erleichtern. Denn in dem Maß, in dem es die gegenseitige Bemühung gibt, auch wenn sie nicht gleich ist, tritt man in den Dialog ein.

3.1.2 Die zweite ist moralischer Natur: die Achtung der Überzeugung des anderen, der Hand in Hand geht mit dem Verlangen nach Achtung für die eigene Überzeugung. Wenn nicht beide sich geachtet fühlen, ist kein Dialog möglich, sondern Konfrontationen.

3.1.3 Die dritte ist intellektueller Natur. Jede religiöse Gruppe hat ihren eigenen Wortschatz, ihre eigene Denkform, ihre eigene Bilderwelt und ihre besondere Geschichte; dafür braucht es eine wirkliche Bemühung um Anpassung, um in das Verständnis der Religion des anderen eintreten zu können und um die Punkte des Dialogs richtig anzuordnen. Aber man dürfte diese Bedingung nicht als Vorwand nehmen, um den Dialog zu lang zu verschieben, da sich die einschlägigen Fragen in dessen Verlauf stellen und sie eine nach der anderen zu klären sind und gemäß der Entwicklung des Dialogs.

3.1.4 Die vierte ist spiritueller Natur; sie ist spezifisch für religiöse Dialoge, während die vorher genannten Bedingungen für alle Dialoge zutreffen. Es ist eine zweifache Demut vor einer von der eigenen unterschiedlichen religiöse Suche und vor den eigenen religiösen Schritten. Denn in religiösen Schritten gibt es von der einen und der anderen Seite eine Bezugnahme auf Gott oder die Gottheit, eine gewisse Gegenwart eines Dritten, der aus dem scheinbar zwischen zweien geführten Dialog eine Beziehung zwischen dreien macht. Ein Christ wird im interreligiösen Dialog wie im geistlichen Dialog zwischen Christen immer einen Platz für den Heiligen Geist lassen.

3.2 Die Schwierigkeiten des Dialogs

3.2.1 Da ist vor allem die Anwendung der oben genannten Bedingungen.

3.2.2 Aber die entscheidende Schwierigkeit liegt oft außerhalb des Dialogs selbst, sie kommt von den Umständen, vor deren Hintergrund der Dialog abläuft. So kommt im jüdisch-christlichen Dialog, umso mehr, wenn er in der Gegenwart von Muslimen stattfindet, die Position jedes einzelnen zu den politischen Problemen in Israel-Palästina ins Spiel, so sehr, dass ein öffentlicher Dialog deswegen unterbrochen werden kann.

3.2.3 Eine andere Schwierigkeit ist es vielleicht, den Dialog selbst zu meistern. Es handelt sich nicht darum, den anderen zu beherrschen, was nicht mehr ein Dialog wäre, sondern ein Wortgefecht. Es handelt sich darum, sich nicht durch das Wort des anderen destabilisieren zu lassen, ich sage bewusst "das Wort" und nicht der Vortrag des anderen, d.h. die vereinigte Kraft der Worte und des gelebten Lebens. Das ist die Probe für die, die den Dialog führen, wenn der Dialog in die tiefste Tiefe von jedem reicht. Es kommt dann vor, dass auf den Dialog lange Augenblicke des Schweigens folgen.

3.2.4 Aber eine größere Schwierigkeit kommt vom Vorhandensein der Berufung zum Universalismus in jeder der großen Religionen, Christentum, Islam, Buddhismus. Von dem Moment an, wo der Planet Erde nicht mehr in Teile geteilt ist, die einer der großen Religionen zugeteilt sind, muss man das Mittel finden, zusammenzuleben ohne sich zu verleugnen.

Legitimerweise strebt jede Religion danach, sich zu entfalten, und schlägt sich denen vor, die nicht dazu gehören: man wird nur von Proselytismus sprechen bei Vorgangsweisen, welche die Freiheit eines jeden und aller nicht respektieren, d.h. welche die Menschenrechte nicht respektieren. Für uns Christen steht das Erfordernis der Freiheit des Glaubensaktes an erster Stelle, sie schließt Gewaltakte aus, welcher Art sei auch seien, aber dann bleibt übrig, ein Leben zusammen zu gestalten, seine politischen Garantien miteinbegriffen.

3.3 Die Früchte des Dialogs

Alles, was bis jetzt gesagt worden ist, skizziert die mögliche Fruchtbarkeit der einfachen Beziehungen und umso eher die des Dialogs.

3.3.1 Da ist der Beitrag zum Frieden im oft bescheidenen Maßstab des Einzelnen. Der Friede erscheint da vor allem als die Möglichkeit der Abwesenheit des Kriegs und der sozialen Konfrontationen, der Friede ist da die menschliche Beziehung zu einem Wesen der selben Menschheit, in einer Menschheit auf dem Weg der Versöhnung. Auf der staatlichen Ebene darf das politische Gewicht der Gesamtheit dieser interreligiösen Beziehungen nicht geringgeschätzt werden, wenn die Beziehungen und Dialoge zahlreich genug sind, auch wenn es dafür viele andere Bedingungen gibt; die Praxis der Vereinigungen trägt viel zum Entstehen der öffentlichen Meinung bei, die in einer Demokratie bestimmt. Auf der Ebene unserer Städte und unserer schulischen Einrichtungen ist die Rolle der Beziehungen und der Dialoge bestimmend für das soziale und menschliche Klima, das dort herrscht; das wird in Zeiten einer schweren Krise bewiesen.

3.3.2 Was ich zum Schluss unterstreichen möchte, ist die Rolle der interreligiösen Beziehungen und Dialoge in der Entwicklung des spirituellen Lebens eines jeden einerseits und der Ausstrahlung jeder unserer Gemeinschaften von Gläubigen andererseits.

Ich möchte das für das eine und das andere in einer sehr einfachen Art präzisieren, ausgehend von der Bedeutung des "anderen" mit kleinem Anfangsbuchstaben, dem Menschenbruder, und der Bedeutung des "Anderen" mit großem Anfangsbuchstaben, Gott, dem ganz Anderen; die Philosophen haben uns geholfen das zu sagen.

In und durch die möglichst wahre Beziehung zum a(A)nderen, mit kleinem und großem Anfangsbuchstaben, lebt die Nächstenliebe, die das Herz des Christentums ist: So teilt Jesus seinen Hörern etwas von der grenzenlosen Liebe Gottes mit und erfüllt seine Sendung. Diese wahre Beziehung ist nicht immer leicht noch friedlich: Die Bibel lässt uns das auch in dem Bericht vom Kampf Jakobs mit dem Engel erkennen, und Jesus wurde davon zum Tod geführt. Aber da finden wir unser volles Maß als Mensch und Christ. Und ich bin allen dankbar, die mich durch den interreligiösen Dialog wachsen haben lassen, als Mensch und als solidarischen Gläubigen meiner Kirche, als Zeugen des christlichen Glaubens vor den anderen.

Auch die Kirche, Gemeinschaft der Jünger Jesu, ist zu diesen Beziehungen und zu diesen Dialogen in der heutigen Welt gerufen. Dadurch erfüllt sie auch gemeinschaftlich ihre Sendung, Jesus und den dreifaltigen Gott der Welt zu offenbaren.

So komme ich zum Ende meines Eröffnungsvortrags.

Ich habe viel über Beziehung und Dialog gesprochen. Diese werden unter uns im (Mit)Teilen in den Arbeitsgruppen, in den Augenblicken des Gebetes, im gemütlichen Beisammensein beginnen. Jeder von Ihnen leistet dazu seinen Beitrag, die durch seine aktive Gegenwart beginnen soll. Lassen Sie mich Ihnen sagen, dass dort auch unsere Freude sein wird.

Pau 2001