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Auszug aus einem Referat von Dr. Tone Jamnik, gehalten bei der SIESC-Tagung 2000 in Ljubljana/Laibach (aus dem Englischen übersetzt von Mag. Wolfgang Rank)

Der Lehrer vor den Herausforderungen unserer Zeit

Metaphern als Symbole für einen modernen Sucher: Nomade, Vagabund, Tourist

Die Suche des modernen Menschen in den Bereichen Religion und Ethik (ebenso wie in anderen Bereichen) könnte durch Metaphern erläutert werden, die den Menschen als Nomaden, Vagabund und Touristen beschreiben. Der moderne Mensch vergleicht sich gerne mit einem Nomaden. Dieser Vergleich zeigt eine interessante Ähnlichkeit mit dem Pilger. Ist das ein Übergang von dem modernen Pilger zu dem post-modernen Nomaden? Nomaden sind ständig unterwegs. Sie ziehen innerhalb gut geordneter Strukturen, die eine lange Tradition haben, und innerhalb einer festgelegten Ordnung. Wenn Nomaden mit Pilgern verglichen werden, kann man sagen, dass die Reise von Nomaden weder ein endgültiges Ziel noch besondere Plätze hat, wo sie während ihrer Reise rasten könnten. Trotzdem ziehen sie in einer bestimmten Reihenfolge von einem Platz zum anderen. Die Metapher der nomadischen Lebensform beschreibt den post-modernen Menschen sehr passend.

Eine radikalere Metapher ist die vom Vagabunden. Der Vagabund weiß nicht, wie lang er dort bleiben wird, wo er ist. Es gibt keine Regel, wann und wie er entscheiden wird weiterzuziehen. Seine Reise ist sehr unbestimmt und unvorhersehbar. Der Vagabund zieht fort, weil er an einem bestimmten Punkt enttäuscht worden ist und weil er glaubt, dass der nächste Ort, den er besucht, die Fehler und Versager nicht haben wird, die er an den Orten erfahren hat, wo er schon gewesen ist. Eine unbestimmte Art von Hoffnung bringt ihn zum Weiterziehen .... Man könnte sagen, dass ein Vagabund ein Pilger ohne Ziel und ein Nomade ohne Plan ist. Der Vagabund reist durch einen unstrukturierten Raum wie jemand, der in der Wüste wandert, der nur die von seinen eigenen Füßen gemachten Spuren kennt, die mit Sand ausgefüllt werden, sobald er weiterreist. Der Vagabund benützt eine Struktur (Pfad) nur um sie zu zerstören und wieder zu verlassen. Er sieht jeden folgenden Ort nur als ein örtlich und zeitlich begrenztes Abenteuer.

Eine weitere Metapher, die den post-modernen Menschen charakterisiert, ist die vom Touristen. Wahrscheinlich geben nur beide Metaphern zusammen, die vom Touristen und die vom Vagabunden, eine gute Charakterisierung des post-modernen Menschen. Der Vagabund und der Tourist wissen gut, dass sie nicht lang an dem Ort bleiben werden, wo sie angekommen sind. Der Tourist akzeptiert gewisse Einschränkungen, er muss für seine Freiheit zahlen. Die Freiheit beruht auf einem Übereinkommen, das seinen Preis hat. Der Tourist ist extra-territorial wie der Vagabund, aber sein extra-territoriales Leben ist ein Privileg. Unabhängigkeit, das Recht frei zu sein und die Freiheit der Wahl zu haben, gilt, er hat die Erlaubnis die Welt neu zu strukturieren. Die Welt wartet geradezu auf den Touristen, alles ist dazu gemacht, ihn zu rühren und mit Begeisterung zu erfüllen, von Restaurants und bedeutenden Denkmälern bis zu Religion und Ethik. Es ist dazu da, seine Aufmerksamkeit zu erregen, aber der Tourist muss auch dafür zahlen. Die Welt ... soll Vergnügen machen und das gibt ihr auch ihren Sinn.

Ein anderer Zug ist dem Vagabunden und dem Touristen gemeinsam. Beide wandern durch einen Raum, wo andere Leute leben. Diese Leute sind durch ihren Raum und ihre Arbeit bestimmt, aber weder der Vagabund noch der Tourist sind an den Ergebnissen ihrer Arbeit interessiert. Sie begegnen dem örtlichen Raum und der konkreten Situation nur kurz und oberflächlich. Physisch nahe und geistig fern, das ist die Formel sowohl des Touristen als auch des Vagabunden. Der anziehende Charme eines solchen Art Leben liegt in dem feierlichen Versprechen, dass physische Nähe nicht zu einer moralischen werden wird. Wenn es um den Touristen geht, ist das sehr klar, weil er in dieser Hinsicht Garantien hat. Die Freiheit von moralischer Verpflichtung ist vorher bezahlt worden (bestimmte Übereinkommen, Begrenzung, Verpflichtungen, übernommen mit dem Ziel, die eigene Sicherheit zu garantieren). Weder der Vagabund noch der Tourist sind bereit, in ihrem Leben irgendwelche moralische Verantwortung zu übernehmen. Sie sehen es als irgendetwas Beschwerliches und Lästiges, das ihr Scheinglück verderben würde. Der Tourist ist voll von Zahlen, alles ist gemessen, die gegenseitigen Verpflichtungen sind definiert, alles ist entpersönlicht. "Das ist, was jeder tut" wird auch ein Kriterium für meine Handlungen.

In der post-modernen Welt sind der Vagabund und der Tourist nicht nur so etwas wie Randfiguren oder bloß ein Randphänomen. Sie werden zu einem Modell, das in wachsendem Ausmaß das ganze Leben umfasst und gestaltet und stellen eine Grundlage für die alltägliche Tätigkeit dar und auch für die Überprüfung dieser Tätigkeit. Und diese Lebensstil ist ideal für das Marketing und die Medien. Tourismus ist nicht nur etwas, was in der Ferienzeit stattfindet. Wenn das normale Leben angenehm und gut sein soll, sollte es ein niemals endender Urlaub werden. Von einem idealen Gesichtspunkt aus kann man überall und jederzeit ein Tourist sein. Physisch nah und geistig fern. Vollständig frei, alle Befreiungen von Vertragspflichten sind vorher bezahlt worden. Alle diese Verträge geben dem Touristen eine genügend starke Schlaftablette, um sein moralisches Gewissen einzuschläfern.

So wird die post-moderne Gesellschaft bruchstückhaft und individualistisch und die soziale Sicherheit vermindert sich. Von einem philosophischen Standpunkt aus bedeutet das einen Niedergang der großen Systeme und die Metaphern vom Touristen und Vagabunden illustrieren die Unsicherheit des Individuums und die Suche nach momentanen Befriedigungen gut. Die grundlegende Schwierigkeit ist, wie ein geistlich leerer Mensch, der in Passivität und Indifferenz erzogen worden ist, einen anspruchsvollen Pfad beschreiten könnte, der eine starke und verantwortungsvolle Persönlichkeit benötigt. Dieser Übergang beinhaltet die Krise des modernen Menschen, die Schwierigkeiten, aber auch eine Hoffnung für die Zukunft.

Ein Pilger werden

Wird dieser post-moderne Nomade, oft auch Vagabund und berechnender Tourist, genug Stärke und Mut haben, einen anspruchsvolleren Pfad zu beschreiten, Verantwortung zu übernehmen, sich selbst als Geschenk anzunehmen und die Umgebung, in der er lebt, als eine Möglichkeit, seine Berufung, seine Freiheit und seine Einzigartigkeit zu verwirklichen? Wird er bereit sein, einen Pfad des Risikos und der Hoffnung zu beschreiten, der nicht auf "haben" sondern auf "sein" beruht, auf reiner Freigebigkeit und dem Geschenk des Daseins?

Wird er bereit sein, einen Schritt weiter zu gehen und aufzuhören, ein Nomade und ein Vagabund zu sein, um ein PILGER zu werden? Der Pilger empfängt die Stärke für seine Risiken und seine Hoffnung als Lebenseinstellung von seiner Berufung, wo sich das Ziel seines Weges schon zu zeigen beginnt. "Manchmal steht einer auf und geht, weil eine Kirche da draußen im Osten ist.", sagt Rilke in einem seiner Gedichte, wobei er über Russland spricht. Pilger sein heißt also immer wieder aufstehen, beginnen, das alltägliche Leben transzendieren und zu einer Reise mit einem klaren Ziel aufbrechen. Pilger sein heißt das alltägliche Leben immer wieder um eines heiligen Ortes willen verlassen, wo der Himmel in einer besonderen Art offen ist, wo Gottes Nähe in einer neuen Art dem Menschen zuflüstert. Pilger sein ist eine Lebensentscheidung, es heißt zu glauben und zu hoffen, dass das Ziel des Weges schon den gegenwärtigen Augenblick meines Daseins ändert; Pilger sein heißt zusammen mit anderen hoffen, andere Leute als Geschenke und Zeichen treffen, es heißt unser Dasein und die Welt, in der wir leben, genießen und gleichzeitig auch sich der Zerbrechlichkeit bewusst sein, die alles in dieser Welt kennzeichnet. Der Pilger ist dankbar für alles, was er während der Reise empfängt, für die Geschenke und Kreuze, auf die er trifft, aber seine Hoffnung findet Stärke im Ziel des Weges, im Geschenk der Erlösung, einer ganz harmonischen Existenz. Der Pilger ist offen für das Unerwartete, er weiß, dass sein Gott ein Gott der Überraschungen ist, der viel mehr tun kann als Menschen denken und hoffen. Das gibt ihm die Stärke, immer wieder zur Reise aufzubrechen, zu riskieren, zu hoffen gegen alle Hoffnung, den Mut zu haben, an den Illusionen und Lügen zu verzweifeln, hinter denen er sich zu einem bestimmten Moment sicher gefühlt hatte...........

Einerseits ist die menschliche Hoffnung auf die konkrete Realität, Ereignisse und Leute gerichtet, doch von grundlegender Bedeutung ist die Hoffnung als Zustand des Geistes, der nicht darauf aus ist, etwas zu haben oder zu erreichen, sondern nur zu sein beabsichtigt, bloß auf Grund eines Geschenkes und der Freigebigkeit zu existieren und seine Berufung zu verwirklichen trachtet. Im Bereich der religiösen und ethischen Suche kann man viele Zeichen der Hoffnung sehen, welche die Sehnsucht des Menschen nach der Fülle des Daseins ausdrücken. Das macht die Berufung des Lehrers sogar noch bedeutender und verantwortungsvoller. Er sollte helfen, diese Gaben in den jungen Leuten zu entdecken, er sollte sie dazu bringen sich selbst anzunehmen und die Lebensfreude zu erfahren, die aus echten interpersonalen Beziehungen entsteht.

Ljubljana 2000