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Theologische Grundlagen der Solidarität

von P. Gaspar Martinez, Kirchlicher Assistent von PAX ROMANA für Europa

Im ersten Teil seines Vortrags beim 40. Kongreß des SIESC in Aveiro (Portugal) zeigte P. Martinez, wie man Partikularismus und Universalität der Erlösung in verschiedenen Erzählungen des Alten Testamentes verstand. Im zweiten Teil behandelte er:

Die allgemeine (universelle) Erlösung in Jesus Christus

"Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: "Geh, dir geschehe, wie du geglaubt hast." (Mt 8,13)

"Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters, nehmt das Reich in Besitz, das euch seit Grundlegung der Welt bereitet ist. Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben, ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gereicht. ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen, nackt, und ihr habt mich bekleidet, ich war krank, und ihr habt mich besucht, ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen." (Mt 25,34-36)

Jesus betonte unaufhörlich die gleiche Botschaft während seines ganzen Dienstes: Erlösung erfolgt nicht automatisch auf Grund äußerer Bedingungen (d.h. Zugehörigkeit zum jüdischen Volk), sondern erfordert die innere Bedingung des Glaubens. Und Glaube bedeutet an Jesus glauben und in Nächstenliebe seinen Spuren folgen. So schlägt Jesus eindeutig den Weg ein, den die Propheten angekündigt hatten, und macht die Erlösung universell, dadurch, daß er erstens sein eigenes Leben für alle gibt und zweitens sie allen öffnet, die aus ihrem Glauben heraus ihren Nächsten lieben.

Die Bedeutung des Glaubens und der Liebe zu betonen, ist jedoch nicht genug. Jesus verlangt diese nicht nur aus bloßer Willkür. Er gründet seine Forderung auf das Wesen Gottes selbst, das zu offenbaren er gekommen ist: "Gott ist Liebe" (1 Joh 4,8). Daraus folgt, daß die ganze Schöpfung ein Werk der unverdienten Liebe ist, daß jeder aufgerufen ist, voll an dieser Liebe teilzunehmen, und daß alle an ihr teilhaben können durch den Glauben an Jesus (Joh 13,31 - 14,31; 1 Joh 4,7 - 5,13). Deswegen ist Solidarität, als die Bedingung für die Verbindung mit dem Ganzen, eine ursprüngliche Erfordernis einer Wirklichkeit, die sich selbst transzendiert, und erfließt aus dem wahren Wesen dieser Wirklichkeit, d.h. aus der tatsächlichen Einheit aller ihrer Teile durch die begründende Kraft der Liebe, die die Teile geschaffen hat. Solidarität als grundlegende menschliche Haltung kann nur in bezug auf das transzendente Prinzip von Gottes unverdienter Liebe richtig verstanden und sichergestellt werden.

Durch seine Worte und Taten begründete Jesus das Prinzip der universellen Erlösung durch Glaube und Liebe. Inden Jesus von den vielen Unsicherheiten der Erlösung durch die Zugehörigkeit zum erwählten Volk Israel zu einer allumfassenden, universellen Erlösung überging, machte er einen entscheidenden Schritt, nämlich, vom irdischen Königreich Israel, das notwendigerweise mit anderen irdischen Königreichen in Wettbewerb treten mußte, zum eschatologischen Königreich Gottes überzuwechseln. Das ist die neue Wirklichkeit oder Ordnung, die Jesus zu offenbaren gekommen ist (Mt 11,1-15), und diese neue Ordnung wird nicht aus menschlicher Anstrengung wachsen, sondern nur aus unverdienter Gnade (Mk 4,26-32).

Durch diesen Wechsel räumt Jesus mit jeder Form von Ausschließlichkeit auf und stellt die Einheit und Universalität der Absicht der gnadenvollen Schöpfungstat Gottes wieder her. Weil dieses neue Königreich, in das alle einzutreten gerufen sind, eschatologisch und allumfassend ist, lehnt Jesus es ab, als Messias, König dieser Welt, verstanden zu werden (Joh 6,15), und stellt sich selbst als Messias, König des Königreichs des Himmels, dar (Joh 18,33-37).

Das eschatologische Wesen des Königreiches Gottes begründet die Geschichte neu. Einerseits ist Geschichte der Bereich, wo Menschen berufen sind, den Werten dieses Königreichs durch Glaube und Liebe anzuhangen, diese Werte zu leben und so die irdische Ordnung umzuformen, in Übereinstimmung mit den eschatologischen Werten von Gerechtigkeit, Friede, Wahrheit und, vor allem, der Quelle, aus der alle anderen stammen: Liebe (1 Kor 13,1-13). Die neuen Gesegneten sind nicht, wie in der alten Ordnung, die Reichen und die Vornehmen, sondern diejenigen, die die Anforderungen des Königreichs leben und so solidarisch sind mit allen, die leiden, barmherzig sind, nach Gerechtigkeit dürsten und Frieden suchen, sogar wenn sie selbst für die Sache dieses Königreiches leiden (Mt 5,1-12).

 

Andererseits wird Geschichte daran gehindert, sich selbst als etwas Absolutes zu festzusetzen. Weit davon entfernt, wird Geschichte immer unter Gottes Richtspruch stehen und muß von der endgültigen, eschatologischen Ordnung her verstanden werden, die durch die Macht Gottes verwirklicht wird. Die bleibende Neuartigkeit dieser Ordnung zerschlägt die mögliche Verabsolutierung jeder geschichtlichen Errungenschaft und wirkt als Haupttriebkraft einer Geschichte, die niemals selbstzufrieden werden darf. Die Geheime Offenbarung erlaubt einen symbolischen Eintritt in die Realität dieses eschatologischen Königreichs. Eines der Hauptkennzeichen dieses Königreichs ist seine Universalität. Das himmlische Jerusalem setzt die grundlegende Brüderlichkeit aller Nationen der Welt voraus und ist die Krönung der Liebestat Gottes, die alles geschaffen hat.

"Siehe, ich mache alles neu..Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. Ich will dem Dürstenden umsonst zu trinken geben vom Quell des Lebenswassers. Der Sieger wird dies zum Erbe empfangen, und ich will ihm Gott sein, und er wird mir Sohn sein." (Off 21,5-7)

Der lange Weg der Kirche vom Ausschließen zum Einschließen

"Oder ist Gott etwa nur Gott der Juden und nicht auch der Heiden? Gewiß auch der Heiden. Es ist ja nur der eine Gott, der rechtfertigt: die beschnittenen Juden auf Grund des Glaubens und die unbeschnittenen Heiden durch den Glauben." (Röm 3,29-30)

Schon von Beginn an gab es harte Auseinandersetzungen innerhalb der Kirche, um festzustellen, ob Christi Erlösung universell war oder nicht. Die Entschlossenheit des Paulus half die Versuchung überwinden, den Umfang des neuen Bundes auf die Juden zu beschränken. Das Konzil von Jerusalem übernahm den Standpunkt des Paulus und sein Dienst legte den Samen für die Verbrei-tung der Frohbotschaft auf der ganzen Welt. Diese frühe Entscheidung hat jedoch nicht alle Gefahren der Ausschließlichkeit abgewehrt, die die Kirche seither ständig bedrängt haben.

Unter zwei Hauptkategorien können diese Gefahren eingereiht werden: die Vermengung von Chri-stentum und Christenheit und die Vermengung von Kirche und Reich Gottes. Beide sind in der Geschichte vorgekommen und haben beträchtlich die Entfaltung der Mittel behindert, die das Christentum mit sich bringt, um universelle Solidarität und besonders Solidarität mit den Unglücklichen der Welt zu fördern. Obwohl das 2. Vatikanum eindeutige Grundsätze festgelegt hat, die die Universalität der Gnade als Grundlage für diese zwei Arten von Solidarität betrachten, sind die Gefahren eines Rückfalls in Ausschließlichkeit nicht verschwunden.

"Christenheit" kann definiert werden als eine Kultur, in der das Christentum selbstverständlicherweise als der einzig mögliche Weg angesehen wird, die Wirklichkeit zu verstehen und die soziale Ordnung zu gestalten. Sie schließt natürlich eine politische Ordnung ein, für die das Christentum die offizielle Religion dieses politischen Gebildes ist und die christliche Kirche die einzige, die in ihm existieren darf. Sie setzt voraus, daß es keine politische Einheit ohne religiöse Einheit geben kann. Alle, die nicht Christen sind, sind automatisch aus der Gesellschaft ausgeschlossen.

Es ist allgemeine Erkenntnis, daß Kaiser Konstantin die Saat der "Christenheit" in Europa gepflanzt hat, wodurch er die Universalität der Erlösung durch Glaube und Nächstenliebe ernstlich geschwächt hat und Jesu Wechsel vom irdischen Königreich zum eschatologischen umgedreht hat. Wie Ernst Tröltsch in seinem Werk "Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen" gezeigt hat, wurde diese Kirche sowohl die Verwalterin der Gnade als auch das Fundament der Gesellschaft während des Mittelalters, wobei sie durch Nachsicht die Unterschiede in der Heiligkeit innerhalb des Corpus Mysticum ausglich, in dem Einzelwesen Mitglieder eines organischen Ganzen wurden. Die Religionskriege, die sich mit der Konfrontation von Katholizismus und Protestantismus über ganz Europa ausbreiteten, waren nur eine der Auswirkungen der Verschmelzung von Kirche und Staat, die durch den Satz "cuius regio eius religio" ausgedrückt wird.

Als Hobbes, Locke und später Rousseau den Bestand des sozialen Gefüges zu garantieren versuchten, indem sie individuelle Freiheiten mit sozialen Pflichten verbanden, scheuten sie alle vor dem historischen Christentum zurück und verkündeten die Notwendigkeit der Religionsfreiheit wegen der schmerzvollen europäischen Erfahrung der Religionskriege. Weit entfernt davon, zum Aufbau einer friedlichen und einschließenden Gesellschaft beizutragen, war das Christentum im Zentrum der blutigsten Kriege im neuzeitlichen Europa gewesen. Es überrascht nicht, daß diese Väter des neuzeitlichen sozialen und politischen Denkens eine rationale und staatliche Religion zu billigen pflegten, während sie zur selben Zeit das historische Christentum als sozial schädlich ablehnten.

Auf einer tieferen, theologischen Ebene wurde Ausschließlichkeit folgendermaßen formuliert: "nulla salus extra ecclesiam". In diesem Falle betraf die Vermengung nicht den staatlichen und den religiösen Bereich, sondern die Rolle der Kirche im System der Erlösung. Kurz gesagt, war Gnade universell oder war sie ausschließlich der Kirche verliehen? Wirkte das Reich Gottes nur durch die Kirche, so daß es auf diese beschränkt war? Bis zum 2. Vatikanum setzte die katholische Theologie Kirche mit Reich Gottes gleich und machte die Kirche zum einzigen Weg der Gnade. Theologisch waren daher universelle Erlösung und universelle Solidarität ganz einfach unmöglich. Der einzige Weg, sie voranzutreiben, bestand in missionarischem Wirken unter den Heiden, um sie zur einzig wahren Religion zu bekehren.

Das Werk von Henri Lubac und der französischen "neuen Theologie" und von Karl Rahner auf deutscher Seite ebnete den Weg für die theologische Wende, die auf dem 2. Vatikanum stattfand. In seinem schon klassischen Artikel, "Natur und Gnade", überwindet Rahner die Hauptschwierigkeit für die Universalität der Gnade dadurch, daß er Gande als den eigentlichen Inhalt (Wesen) von Gottes unverdienter Selbst-Mitteilung an das Geschöpf interpretiert, worin eben Schöpfung besteht. Gnade ist nicht ein abgeleitetes oder sekundäres Gut, das Gott dem Geschöpf verleiht, sondern das ursprüngliche Gut, das das menschliche Wesen begründet. Deswegen ist Gnade immer und schon überall; Natur ist bloß ein leerer oder Restbegriff. Solidarität, oder noch besser, Gemeinschaft (communio) wird zum eigentlichen Wesen von Menschsein, da alle Geschöpfe durch die selbe unverdiente Liebe Gottes, die Gnade heißt, gegründet worden sind.

Das 2. Vatikanum hat das Wesen der Kirche neu definiert, wobei es sie deutlich vom eschatologischen Reich Gottes unterschieden und sie in den Dienst dieses Reiches gestellt hat. Es hat auch den früheren katholischen Grundsatz "nulla salus extra ecclesiam" abgelehnt und den Grundsatz der Universalität der Gnade verkündet. Das hat es seinerseits ermöglicht, einen total unterschiedlichen Rahmen für die Beziehung zwischen Kirche und Welt zu schaffen. Da Gnade universell ist und alles betrifft, ist der säkulare Bereich nicht nur eine neutrale oder sündige Sphäre, sondern eine, die Spuren dieser universellen Gnade enthält, und deswegen ein Bereich von Werten, von denen die Kirche lernen kann. So stimmt die Kirche zu, ihr Monopol über die Gnade und Heiligung zu verlieren, und öffnet sich den Werten, die in der Welt existieren:

"Wie es aber im Interesse der Welt liegen muß, die Kirche als gesellschaftliche Wirklichkeit der Geschichte anzuerkennen, so ist sich die Kirche auch darüber im klaren, wieviel sie selbst von der menschlichen Geschichte und Entwicklung her empfangen hat."(Gaudium et spes 44)

Im Zusammenhang mit der zentralen Anerkennung der universellen Gnade hat das 2. Vatikanum auch eine Erklärung der Religionsfreiheit verfaßt und das Tor zu einem tiefen und ehrgeizigen ökumenischen Wirken geöffnet. Ökumenismus wird nicht nur als Aufgabe verstanden, die auf der Basis von Toleranz und Höflichkeit bloß einen Dialog mit anderen christlichen Kirchen und den verschiedenen Weltreligionen führt, sondern als ein Bemühen, von ihnen und ihren Werten zu lernen auf dem Weg zur universellen Einheit, die durch Christi Offenbarung von Gottes Liebe für alle Geschöpfe angekündigt worden ist.

Wie der peruvianische Theologe Gustavo Gutierrez aufgezeigt hat, hat das 2. Vatikanum die Grundlage für eine globale und universelle Solidarität gelegt, aber es hat die brennende Frage der besonderen Solidarität mit den Armen und Enterbten der Welt nicht herausgearbeitet. Es war die Aufgabe der Theologie der Dritten Welt, und besonders von Medellin, Puebla und Santo Domingo, das Bewußtsein um die Armen und den Skandal des Elends der Dritten Welt wachzurütteln. Die letzten Päpste und die Bischofssynoden haben ausführlich an diesem Thema gearbeitet.

Solidarität und die Rolle der Christen

"Daß sie alle eins seien, wie du, Vater, in mir und ich in dir; daß sie in uns eins seien, damit die Welt glaube, daß du mich gesandt hast." (Joh 17,21)

Allgemein gesprochen, sind die Christen gerufen, die eschatologische Utopie zu leben, das neue

Jerusalem, wo alle Nationen der Welt versammelt sein werden, u.zw. unter den Bedingungen der Geschichte. Trotz aller Unterschiede und Klüfte sind sie gerufen, Solidarität zu verwirklichen, soweit bis sie eins werden, wie der Vater und der Sohn eins sind. Andererseits sind die Christen, wie jeder andere, den Begrenzungen unterworfen, die die historische Wirklichkeit jedem auferlegt. Die Aufgabe der Christen ist es ganz genau, Zeugnis abzulegen von dieser Spannung zwischen Geschichte und Eschatologie, dadurch daß sie ständig versuchen, die Begrenzungen der ersteren auf der Basis der letzteren aufzubrechen.

Um die Solidarität in der Welt zu fördern, muß die christliche Gemeinschaft sich drei Hauptaufgaben stellen: für die arbeiten, die in jeder Gesellschaft an den Rand gedrängt werden; gegen die skandalöse Kluft in Macht und Reichtum zwischen reichen und armen Ländern kämpfen; und religiöse Einheit und Frieden in der Welt fördern.

Katholische Soziallehre hat sich in den letzten fünfundzwanzig Jahren zu diesen drei Themen ausführlich geäußert. Die besondere Bischofssynode, die 1971 zusammentrat, um die Frage der "Gerechtigkeit in der Welt" zu besprechen, wies auf das fürchterliche Paradoxon hin zwischen einer zunehmend vereinheitlichten Welt einerseits und der Stärkung der Kräfte der Spaltung und der Gegensätzlichkeit andererseits. Sie schloß, daß es eine grundlegende Dimension des christlichen Glaubens sei, Gerechtigkeit und Solidarität in der Welt zu suchen, und daß die Kirche dringend handeln müsse, um diese Dimension in sich selbst und in der globalen Gesellschaft zu fördern, wobei sie mit anderen Kirchen und Religionen zusammenarbeitet und die Mächte der Welt antreibt, wirkungsvolle Taten für Gerechtigkeit, Solidarität und Frieden zu setzen.

Wie Johannes Paul II. beharrlich wiederholt hat, sind die Einheit von Schöpfung und Bestimmung und die unveräußerliche Würde, die Gott jeder Person verliehen hat, die Hauptpfeiler, die die christliche Forderung stützen, jede Form von Ungerechtigkeit und Elend zu bekämpfen. Das menschliche Dasein hat eine grundlegende transzendente Dimension, die in diesem Kampf herausgestellt werden muß. Es ist nicht bloß eine Frage, wie Unterschiede innerhalb von Nationen und zwischen ihnen ausgeglichen werden, sodaß ein machbarer Grad von Frieden erreicht wird. Es ist nicht bloß eine Frage historischer oder politischer Berechnungen. Der Weg zu Gerechtigkeit, Solidarität und Frieden kann nicht bloß auf der Grundlage von Zweckmäßigkeiten gesichert werden. Er muß in den transzendenten Werten verwurzelt werden, die daher stammen, daß wir alle aus Liebe geschaffen worden sind und daß wir alle gerufen sind, grenzenlos an ihr teilzuhaben.

Weil diese Werte wirklich transzendent sind und weil die christliche Gemeinschaft Zeugnis ablegen muß für eine eschatologische Wirklichkeit, müssen von Christen radikale Antworten erwartet werden, die über politische Berechnungen hinausgehen. In der Geschichte der Kirche standen diese radikalen Antworten am Beginn der Schaffung neuer religiöser Orden, durch die der Heilige Geist die Kirche voranschreiten ließ. Heute verlangen die Zeichen der Zeit, daß diese radikalen Antworten auch von den Laien kommen, die so die mittelalterliche Unterscheidung zwischen den verschiedenen Stufen der Heiligkeit überwinden, die den verschiedenen Lebensformen zugeteil worden waren. So wie der Papst alle gegenwärtigen Kriege verurteilt hat, sogar gegen die Meinung der Mehrheit der Nationen, weil alle im Gegensatz zum Willen Gottes und den transzendenten Werten des Daseins stehen, so sind Christen gerufen, entsprechend dieser großartigen Utopie des himmlischen Jerusalem zu leben, die sich den Verengungen und Begrenzungen der Geschichte widersetzt und sie öffentlich anprangert. Nur ein eschatologischer Anker kann die Geschichte davor retten, in ihren eigenen Wassern zu versinken.

Es wäre bloße Heuchelei, über die Förderung von Frieden und Solidarität in der Welt auf der Basis von Religion und Transzendenz zu reden, ohne zur Kenntnis zu nehmen, daß staatlicher Friede nicht möglich ist ohne religiösen Frieden, wie Hans Küng beständig wiederholt. Die Geschichte lehrt, daß Religion einer der Hauptfaktoren war, die auf der ganzen Welt zu Krieg geführt haben. Obwohl die bestehenden Konflikte mit vielen komplexen Faktoren vermengt sind, kann niemand bestreiten, daß Religion in Nordirland, im Mittleren Osten, in Bosnien, in einigen afrikanischen Ländern und in vielen Nationen der Welt eine Rolle spielt. In diesem Sinn wird religiöser Dialog zu einem Prüfstein, um das Ausmaß und die Stärke religiöser Mittel für die Sache der Solidarität zu prüfen. Niemand zweifelt, daß Religionen eine der bedeutendsten Kräfte beim Gestalten von Kulturen und Traditionen gewesen sind. Wenn diese Kulturen und Traditionen jede Form von Antagonismus überwinden sollen, um die Sache des Friedens voranzutreiben, ist es unbedingt notwendig, daß die Religionen, die ihre Werte aufrechterhalten, in einen Dialog eintreten, der ihnen erlaubt, einander kennenzulernen, von einander zu profitieren und miteinander zusammenzuarbeiten, um Gerechtigkeit und Frieden in der Welt zu erreichen.

Schließlich macht es das Bestehen tiefer Spaltungen innerhalb der christlichen Familie schwierig, an die Botschaft der radikalen Solidarität und Einheit zu glauben, die aus der Frohbotschaft Christi erfließt. Jenseits der Unterschiede in Tradition und Praxis, z.B. bezüglich der Ordination von Frauen, müssen die verschiedenen Zweige der christlichen Familie die ökumenische Aufgabe wieder als ein zentrales Zeichen der eschatologischen Gemeinschaft aufnehmen, in der wir alle genauso eins sein werden, wie der Vater und der Sohn eins sind.

 
(Vom Vortragenden autorisierte Übersetzung aus dem Englischen von Wolfgang Rank)